Am Freitag war er noch am Kämpfen, im Abschlusstraining am Samstag zeigte er ebenfalls keine herausragende Form - aber wenn es darauf ankommt, liefert Max Verstappen ab. Er brachte seine Runde im dritten Qualifying-Abschnitt perfekt zusammen und holte sich wider Erwarten die Pole Position für das Formel-1-Rennen am Sonntag. Nicht ganz unbeteiligt daran war Nico Hülkenberg, der mit einer starken Vorstellung bei der Qualifikation zum Großen Preis der Emilia Romagna ebenso in Q3 mit von der Partie war.

Der Schlüssel zur Pole Position: Hülkenbergs perfektes Windschatten-Spiel

In Anfahrt auf Kurve 2 - die Variante Tamburello - zog der Deutsche den Niederländer in seinem Windschatten mit. "Wir waren Windschatten-Buddys da draußen. Schon in Q2, dann in Q3. Ich habe ihm einen Windschatten für Kurve 17 gegeben, dann hat er mir einen Windschatten für Kurve 2 gegeben", sprach Verstappen in der Pressekonferenz über die gegenseitige Hilfe auf der Strecke.

Hülkenberg begann seine letzte schnelle Runde in Q3 als Erster und lief am Ende seiner Runde auf Verstappen auf, der gerade in seiner Aufwärmrunde war. Dabei profitierte zunächst der Deutsche von Verstappens Windschatten. Dann wechselten die Rollen. Denn als der Weltmeister seine fliegende Runde begann, war Hülkenberg auf seiner Abkühlrunde, zog Verstappen erst auf der Start/Ziel-Geraden mit und ließ ihn dann vorbei.

Dementsprechend hatte Verstappen auf seiner Pole-Runde im ersten Sektor einen kleinen Vorteil, den auch der Motorsportchef von Red Bull, Dr. Helmut Marko, im Interview mit Servus TV anerkannte: "Gewonnen hat er es im Sektor 1 und da muss man auch Hülkenberg danken. Denn der hat ihm einen Windschatten gegeben und da hat er zwei Zehntel auf Piastri gutgemacht. Im letzten [Sektor] waren es dann ja nur noch sieben Hundertstel."

Die Daten enthüllen: Entscheidung fiel in Sektor 1

Die Analyse des Red-Bull-Motorsportchefs spiegelt sich in den Daten exakt wider: Verstappen konnte vor allem in der ersten Rundenhälfte gegenüber dem Zweitschnellsten, Oscar Piastri, an Boden gewinnen, wohingegen der Red-Bull-Pilot vor allem im letzten Sektor auf die beiden McLaren-Fahrer verlor. In diesem Diagramm haben wir euch die Runden der vier schnellsten Fahrer aus Q3 angetragen. Dargestellt ist der Rückstand von Piastri, Norris und Leclerc auf die Verstappen-Zeit:

Der große Vorsprung, den Verstappen auf seiner letzten Qualifying-Runde bis zu Kurve 2 herausfahren konnte, wird noch deutlicher, wenn man seinen ersten und zweiten Q3-Versuch übereinanderlegt. In diesem Diagramm könnt ihr ablesen, wie steil der Rückstand zu Beginn der Runde im ersten Versuch gegenüber dem zweiten Versuch anstieg:

Mutmaßlich hätte Verstappen von Hülkenbergs Windschatten sogar noch mehr profitieren können, wenn ihm auf seiner Qualifikationsrunde nicht ein kleiner Fehler unterlaufen wäre. "Ich denke, ich bin etwas zu schnell angekommen, weil ich Kurve 2 ein klein wenig verpasst habe", gestand der Weltmeister nach dem Qualifying. "Also habe ich vorher etwas gewonnen, aber in Kurve 2 etwas verloren. Insgesamt hat es mir jedoch ein bisschen geholfen. Aber wenn man das ganze Wochenende kämpft und es dann endlich klappt, muss man nach diesen kleinen Vorteilen suchen, um vorne zu bleiben, und das hat wunderschön funktioniert", resümierte Verstappen zufrieden.

Unerwartet an der Spitze: Wie Red Bull das Qualifying in Imola drehte

Mit der Pole hatte bei Red Bull selbst niemand gerechnet. "Ehrlich gesagt bin ich in das Qualifying gegangen und dachte, wenn wir in die Top 5 kommen, wäre ich glücklich, weil dieses Wochenende wirklich schwierig war", so Verstappen. "Daher bin ich unglaublich froh, hier auf Pole zu stehen. Das habe ich nicht erwartet", freute sich der Holländer direkt nach dem Qualifying. Bereits die ersten Töne am Boxenfunk sprühten vor Erlösung: "Whoa, let's go! Was für ein schwieriger Start, aber wir haben es verdammt nochmal gedreht. Ich danke euch allen! Das ist fantastisch! Ich bin wirklich glücklich!" So emotional und euphorisch war Verstappen schon länger nicht mehr zu hören.

Aber warum kam die Pole in Imola für das Weltmeister-Team, das die ersten Rennen der Formel-1-Saison 2024 dominierte, so überraschend? Dafür müssen wir zu den drei Training-Sessions zurückgehen, in denen Verstappen nicht über Platz 5 hinauskam. Der Niederländer fiel vor allem durch Ausflüge ins Kiesbett und Beschwerden über fehlenden Grip am Boxenfunk auf. Nach dem misslungenen Freitag war Verstappen äußerst unzufrieden und ging mit der Red-Bull-Performance hart ins Gericht.

Die Maßnahmen, die Red Bull über Nacht sowie noch am Qualifying-Tag ergriffen hat, schienen ihre Wirkung zu zeigen. "Am heutigen Tag war einfach jede Änderung positiv. Auch zwischen Q1, Q2, Q3 sind jeweils noch Adaptionen vorgenommen worden. Man hat gesehen, dass er im ersten Q3-Lauf relativ starkes Untersteuern in Kurve 7 gehabt hat, das hat man auch noch adaptiert", merkte Marko bei Servus TV an.

"Wir haben einfach weiter versucht, die Balance des Autos zu verbessern, weil es gestern und heute Morgen ziemlich hin und her gerutscht ist. Wir haben viele Dinge ausprobiert und einfach weiter hier und da optimiert. Alle haben zusammengehalten, weiter überlegt, was wir tun könnten - auch im Werk. Und am Ende haben wir es geschafft", stellte Verstappen vor allem das produktive Teamwork in den Vordergrund.

Red Bull-Teamfeier mit Sieger Max Verstappen und Teamchef Christian Horner
Die harte Arbeit der Red-Bull-Mannschaft war es, die sich laut Verstappen heute auszahlte, Foto: Getty Images / Red Bull Content Pool

Bezüglich der Setup-Arbeit erklärte Verstappen, dass hier die Details entscheidend waren: "Es ging mehr um die Feinabstimmung einiger kleiner Dinge. Es ist immer noch ein sehr starkes Auto, mit dem ich mich wohlfühle. Nur irgendwie war es an diesem Wochenende sehr schwierig, ein Setup zu finden." In der Session selbst seien es neben dem Windschatten dann vor allem die kontinuierliche Verbesserung in jeder Session und schließlich die Risikobereitschaft in der letzten Runde gewesen, die den Erfolg brachten, so der Pole-Sitter weiter.

Imola war das engste Qualifying der bisherigen Saison und normalerweise würde er größere Abstände bevorzugen, scherzte Verstappen in der Pressekonferenz. Er kann dem Zittern und der Widerauferstehung von Red Bull aber auch etwas Positives abgewinnen: "Das ist definitiv ein großartiges Gefühl, wenn man ein wirklich schwieriges Wochenende erlebt und es dann im Qualifying doch noch hinbekommt. Natürlich hoffe ich, dass das nicht zu oft passiert, aber im Moment bin ich sehr zufrieden, dass wir es geschafft haben, das Blatt zu wenden."

Für Red Bull war es die größte Wende während eines Wochenendes in den letzten Jahren. "Es ist schon eine Weile her, dass ich das Gefühl hatte, dass wir so weit weg waren. Ich meine, in Singapur [2023] lagen wir das ganze Wochenende daneben, das war einfach ein schreckliches Wochenende. Aber hier waren wir auch ziemlich weit weg, und dann haben wir es geschafft, das Ruder herumzureißen."

Für Ferrari war die Pole das ausgeschriebene Ziel. War das Update eine trügerische Hoffnung? Alles dazu lest ihr hier:

Kann Red Bull die Pole in einen Sieg umwandeln? Verstappen mahnt zur Vorsicht

Kommt Red Bull nun also umso gestärkter aus der kurzen Talfahrt zurück und fährt im Rennen wieder alle anderen in Grund und Boden? Nicht, wenn es nach Verstappen geht. Denn der fühlt sich auf das Rennen ganz und gar nicht gut vorbereitet. "Ich fühle mich etwas weniger gut vorbereitet, als ich es gerne wäre, und wir erwarten nicht, dass es einfach wird. Gestern waren sowohl die Long Runs als auch die Short Runs schrecklich. Heute Morgen konnten wir im Long Run nur drei Runden fahren, aber auch da hat es sich nicht gut angefühlt", malte Verstappen schwarz.

Ein wenig Optimismus konnte Verstappen dann aber doch zurückgewinnen: "Natürlich denke ich, dass es mit der Balance, die ich im Qualifying hatte, besser laufen wird. Aber ich habe keine Ahnung, wie es gegen McLaren ausgehen wird. Sie sahen gestern auf ihrem Long Run sehr stark aus, also können wir hoffentlich etwas Ähnliches erreichen."

Letztlich traute sich Verstappen keine endgültige Prognose abzugeben: "Das ganze Wochenende waren wir im Hintertreffen. Wir haben es geschafft, im Qualifying an der Spitze zu stehen, aber das ist das Qualifying, das Rennen kann wieder ein bisschen anders sein. Wir müssen also abwarten und sehen, was im Rennen passiert."

Die beste Ausgangsposition für das 63 Runden lange Rennen dürfte dem Red-Bull-Fahrer allerdings helfen. Wenn einer auf dem Autodromo Enzo e Dino Ferrari Chancen hat, das Rennen zu dominieren und zu gewinnen, dann der Pole-Sitter. Denn auf der Strecke ist das Überholen bekanntlich schwierig. Auch dieser Umstand dürfte ausschlaggebend für die überschwängliche Freude nach der Pole-Runde gewesen sein.

Mit der - saisonübergreifend betrachtet - achten Pole in Folge knackte Verstappen heute übrigens eine weitere historische Marke: Er stellte den Rekord von Formel-1-Legende Ayrton Senna ein, der vor 30 Jahren ausgerechnet beim San Marino GP in Imola tödlich verunglückte. Und in einer weiteren Statistik könnte er morgen mit dem brasilianischen Helden gleichziehen: Holt er seinen dritten Sieg beim Großen Preis der Emilia Romagna, dann hat Verstappen genauso viele Imola-Siege auf dem Konto wie Senna.

Das gesamte Formel-1-Wochenende in Imola ist geprägt von der Tragödie um Roland Ratzenberger und Ayrton Senna, die sich kürzlich zum 30. Mal jährte. So richtete Sebastian Vettel am Donnerstag einen Gedenklauf für die 1994 tödlich verunfallten Formel-1-Fahrer aus. Viele Fahrer gedenken der Verstorbenen außerdem während des ganzen Wochenendes symbolisch. In diesem Video erinnert sich F1-Reporterlegende Roger Benoit an seine bewegenden Begegnungen mit dem Fahrer und dem Menschen Ayrton Senna:

30 F1-Jahre nach Ayrton Sennas Tod: Es war schockierend! (35:52 Min.)